Mittwoch, 4. Februar 2015

Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)



Alejandro González Iñárritu, USA 2014 - 9.75/10

Das Zitat aus der Überschrift stammt aus einem der besten Songs der letzten Jahre (aus dem ebenso sensationellen Album "Celebration Rock"): "The House That Heaven Build" von der kanadischen Zwei-Mann-Band Japandroids und meiner Meinung nach passt dieses Zitat zu dem nun von mir zu besprechenden Film ganz hervorragend zu dem neuen, neufach Oscar-nominierten Meisterwerk von Iñárritu ("Amores Perros", "21 Gramm", "Babel").

Riggan Thomson (Michael Keaton) hat seine erfolgreiche Zeit hinter sich. Als Superheld "Birdman" kämpfte er bis 1992 gegen Bösewichte, jetzt versucht er ein Comeback am New Yorker Broadway zu starten, bei dem er Raymond Carvers "What we talk about when we talk about love" in Eigenregie auf die Bühne bringt. Unterbrochen bei seinem Vorhaben wird er allerdings von einer Stimme in seinem Kopf, die sich als Birdman ausgibt und ihm dazu bewegen will, einen weiteren Teil der Action-Reihe zu machen. Riggan befindet sich von nun an im Konflikt, den er mit der Demolierung seiner Garderobe versucht unter Kontrolle zu bringen. 

Seine Tochter Sam (Emma Stone) arbeitet als seine Assistentin ist aber genauso unglücklich wie ihr Vater, sie ist auch gerade erst aus der Entzugsklinik entlassen worden. Erst als der Star-Schauspieler Mike Shiner (Edward Norton) am Set auftaucht, scheint sich alles zum Besseren zu wenden, wenn man von einer Schlägerei zwischen Mike und Riggan absieht.

Zurück zum Song-Zitat: Riggan hatte Erfolg wird von seinem Alter Ego beherrscht, dem sprechenden Vogel, der allerdings Riggans Erfolg nur auf ihn zurückführt. Er soll das scheiß Theater verlassen und "back to the roots" einen vierten "Birdman"-Film drehen. Die Erfolge von beispielsweise Robert Downey Jr. als Iron Man wird direkt angesprochen und solch ein Comeback ist eigentlich das, was dem "Wesen" vorschwebt. Der Film macht hier einen ungewohnten, aber sehr unterhaltsamen Schwenk ins Übernatürliche, was ihn angenehm von der gewohnten Masse an "Midlife-Crisis-Filmen" herausstechen lässt. 

Die Sehgewohnheiten der Zuschauer werden den ganzen Film hinüber in Frage gestellt. Wem kann man vertrauen, existiert "Birdman" überhaupt? Was wollen wir eigentlich sehen, viel Gelaber seitens der Schauspieler oder stupide Action? Viel intelligenter hat sich kein Film in 2014 mit dem Thema "Film" befasst. Michael Keaton spielt famos in einer auf ihn zugeschnittenen Rolle, denn er selbst hat an Bedeutung verloren nach dem Erfolg der beiden Batman-Filmen von Tim Burton  im Jahre 1992. Meiner Meinung nach wird er den Oscar für die beste männliche Hauptrolle gewinnen (habe eine Flasche Tequila drauf gewettet), und dieser Gewinn wäre hoch verdient. Fast genauso gut spielt Ed Norton, seine Anfangsszene auf der Bühne des St. James Theatre gehört zu den eindrucksvollsten der letzten Jahre.

Der größte Lob gebührt Iñárritu, der einen unfassbar eindrucksvollen Film gemacht hat. Es wirkt, als würde nicht ein Schnitt während des gesamten Films verwendet worden, so bleibt er durchweg fesselnd, was selbst ohne große Action oder atemlose Spannung funktioniert (die aber auch teilweise vorkommt, keine Sorge). Der Soundtrack ist Antonio Sanchez ist überraschend, treibend und passt perfekt zum Fluss des Films. Er besteht nur aus jazzigen Schlagzeug-Klängen und sind deshalb unverwechselbar und besonders - nur leider passt er aus unerklärlichen Gründen nicht in die Statuten der Musik-Gilde der Academy, einen Oscar hätte diese Arbeit ohne Frage verdient gehabt.

Die Dialoge sind messerscharf und humorvoll gestaltet, was vor allem im Original perfekt rüberkommt, Freunde des Theaters werden viele Gags finden, aber auch ohne großes Vorwissen hat man als Zuschauer seine Freude. Das Ende wird auf gespaltene Meinungen treffen. Ich finde es passend, aber ihr werdet schon merken, worauf ich hinaus will.

Die Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki ist überragend und wird ihm zu 99% seinen zweiten Oscar in Folge einbringen nach "Gravity" im Vorjahr (und nach seiner meisterhaften Arbeit bei Cuarons Meisterwerken "Y Tu Mamá También" und "Children of Men"). Seine bunten Bilder, die er im grauen Straßendschungel findet sind berauschend, selbst die kleine Garderobe Riggans wird sensationell in 360°-Fahrten in Szene gesetzt. Man war sich nicht bewusst, welche Möglichkeiten es in solch begrenztem Raum gegeben sind. Es mussten mit Sicherheit unzählige Male der Kameramann mit Kamera in der Hand aus vielen Spiegeln mit der Hilfe von Computerprogrammen herausgeschnitten werden, so häufig werden sie in Großaufnahme gezeigt.

Der Film könnte nach mehrmaligem sehen mit Sicherheit noch die Höchstwertung erhalten, so begeistert war ich seit "her" von keinem Film mehr, selbst "Boyhood" hat mich nicht so sprachlos zurückgelassen (aber auf Grund des emotionalen Schlag in die Magengrube, bleibt das Linklater Indie-Epos auf Platz 1 des Jahres, "Grand Budapest Hotel" und nun "Birdman" streiten sich um Platz 2). Dies ist ein Meisterwerk, das ich mir noch unzählige Male anschauen werde und kann man einem Film ein größeres Kompliment geben?

PS: Wer eine weitere Kritik lesen möchte, dem kann diese sehr interessante von Grantlands Wesley Morris empfehlen, auf die er auch in diesem sehr unterhaltsamen Podcast mit Alex Pappademas näher drauf eingeht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Dieses Blog durchsuchen